Donnerstag, 1. April 2004
Stoßzeiten
Ich überlege immer noch, was das war. Ob es eine zärtliche Geste war, als die Frau heute nachmittag im Park ihrer Tochter den Staub vom Hosenboden geklopft hat. Davor saß sie minutenlang zusammengesunken neben mir auf der Bank und murmelte unaufhörlich: "Schon wieder den Job los, weil sich des Kind ausm Kindergarten geraunzt hat. Warum hast Du nur dieses Kind, warum hast Du nur dieses Kind?!" Und meinte damit den etwa zweijährigen Blondschopf, der fröhlich auf dem Spielplatz hin und her lief und ab und zu strahlend ausrief: "Mama, schau!"

Manchmal wäre es wohl wichtig, mehr Worte zu finden für die Stoßzeiten im Leben. Richtige Worte vor allem.

Außerdem überlege ich noch, ob die Menschen in den Nobelbezirken wirklich schöner sind oder ob es mir nur so vorkam. Ich hoffe auf Variante zwei. Aber das paßt jetzt auch gar nicht hierher. Vielleicht aber doch.

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Mittwoch, 28. Januar 2004
Lebensmensch
Das hier hat mich erinnert. An zwei Menschen, die ich schon lange vermisse. Zwei Menschen, die für mich immer so etwas wie ein Weltwunder waren. Schon als Kind habe ich gespürt, wie besonders das ist, das sie verbindet. Wie außergewöhnlich es ist, nach Jahrzehnten noch regelmäßig Händchen haltend, küssend und verliebt lachend durch den Ort zu spazieren. R. und N. Die beiden, die nicht waren wie andere Paare.

Aufgewachsen auf benachbarten Bauernhöfen kannten sie sich ihr Leben lang. Eine Sandkastenliebe. Eine, die hielt. Bis daß der Tod sie schied. Daß es wirklich Liebe war, die der Tod letztlich schied, und nicht Gewohnheit, wußte jeder. Jeder, der sie kannte zumindest.

Unvergessen die Tage mit N., wenn R. nicht da war. Die beiden waren selten getrennt, aber R. liebte es, Kaffeefahrten zu machen. N. nicht. Deshalb blieb er zuhause. Und tat das, was liebende Menschen tun. Vermissen. Und aufgeregt der Wiedervereinigung entgegenfiebern. Den ganzen Tag war er geistig abwesend, der grobschlächtige Opaersatz mit den großen Händen. Ständige Blicke zur Uhr. Nachmittags wurde es für mich, die Beobachterin, aufregend. Dann begann er mit seinem Ritual.

Große Blumensträuße kaufen im Nachbarort. Das Abendessen zubereiten. Daß N. die Feldarbeit gewohnt war, aber nicht die Küchenarbeit, machte dies für mich als Kind zu einem lustigen Ereignis. Es war ein Vergnügen zu sehen, wie tollpatschig er die einfachsten Handgriffe erledigte. Tollpatschig, aber nicht widerwillig. Im Gegenteil. Ich glaube, er liebte diesen Teil des Rituals. Ähnlich wie ein Kind, das seiner Mutter das Muttertagsfrühstück zubereitet, glühte er vor Feuereifer. Als Teenager habe ich es einmal gewagt, helfend eingreifen zu wollen und mir dafür seinen Zorn zugezogen. Es war sein Ritual, sein Geschenk.

Helfen durfte ich bei der Auswahl der Krawatte. Wie viele Menschen seiner Generation besaß er den typischen Sonntagsanzug. Den er zum Kirchgang trug. Und um seine Frau vom Bus abzuholen, nachdem sie die "große, weite Welt" erkundet hatte. Wir Pseudoenkelkinder waren immer mit dabei, wenn er herausgeputzt und mit Blumen bewaffnet zur Haltestelle ging. Nicht ganz uneigennützige Schützenhilfe, war doch ein kleines Mitbringsel zu erwarten.

Die Wartezeit war immer zermürbend und ich habe ihre Notwendigkeit lange nicht verstanden. War doch die Bushaltestelle nur etwa drei Minuten vom Haus der beiden entfernt, wir aber standen dort meist über eine Stunde vor der erwarteten Ankunft herum und warteten. In diesem Punkt duldete N. auch keinen Widerspruch. Wer ihm logisch kam, wurde nach Hause geschickt. Das habe ich niemals riskiert. Zu wertvoll war es, das große Ereignis mitzuerleben. Den Moment, in dem der ersehnte Bus endlich in Sichtweite kam. Adrenalin pur. Nicht nur wegen der Vorfreude auf das Mitbringsel. Vor allem wegen dieses Anblicks. Sobald die Heimkehr seiner Frau in so greifbarer Nähe war, sah N. unbeschreibbar euphorisch aus. Und gerührt. Als hätte er in Wirklichkeit gar nicht damit gerechnet, daß sie tatsächlich wiederkommt. "Wie ein Kind, das glaubt, dem Christkind begegnet zu sein", hat mein Bruder später einmal versucht, es zu beschreiben. Treffend, würde ich sagen.

So oft wie möglich habe ich diesen Augenblick versucht einzufangen. Mit einem diffusen Glücksgefühl als kleines Kind. Mit der absoluten Gewissheit, daß es genau so sein muß als größeres Kind. Und mit der Hoffnung, daß ich das auch erlebe. Später einmal, wenn ich dann endlich erwachsen bin.

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Mittwoch, 21. Januar 2004
Conclusion
Die Friedhofsgängerin kann ihre Maßstäbe nicht anwenden. Die, die normalerweise Ordnung in solche Situationen bringen. Nur für die Friedhofsgängerin, versteht sich. Mindestens ein trauernder Mensch pro Lebensjahr steht am Grab und es war ein gutes Leben. So eines, auf das man getrost blicken kann. Ein ziemlich tief angelegter Maßstab. Sicherheitshalber. Man will ja getröstet sein.

Diesmal hat nicht einmal das Tieflegen genutzt. 4 Menschen für zehn Lebensjahre sind nicht genug. Nicht einmal, wenn zwei davon nicht für ihre Anwesenheit bezahlt worden wären.

Am end- und lieblosen Gelabber ändert das trotzdem nichts. Der "beam me up"-Trick funktioniert nicht. Eine Erinnerung herholen. Eine gute. Zum Festhalten. Zum Gelabber abschalten. Diesmal nicht möglich. Keine Erinnerung ist ausschließlich positiv. Wenn man nun davon ausgehen könnte, daß auch keine negative Erinnerung ausschlichlich negativ ist, wäre das positiv.

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Donnerstag, 15. Januar 2004
Stormbrain
Ein schiefes Gesicht. Die Furchen des Lebens. Glockenstäbe. Rot und gelb. Plüsch aber blau, nicht rot. Gummibärchen. Da wieder nur rot. Bernhard Fibich. Nicht zu laut, nicht zu leise. Entschiedenheit. Messerscharfer Instinkt. Dein unerkanntes Wunder. Deine Entschädigung? Andernorts wurde geraten, beraten, theoretisiert. Geschlossen. Oft. Geschlossenes kann man als erledigt betrachten. Erledigungen lassen keine Fragen offen. Lichtblitze. Lachen. Lachen läßt auch keine Fragen offen. Aber alles andere. Bis zum Schluß. Ungeklärte Fragen, die letzte. Hast Du nun gewonnen oder verloren? Ich werde es nie erfahren. Das ist das Schlimmste.

Mach´s gut, kleiner Rebell.


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Mittwoch, 7. Januar 2004
Gleichgewichtsstörung
Man fängt etwas an. Weil man es für nötig hält. Weil es einem gut tut. Weil das Gefühl ja dazu sagt. Und weil der Kopf sich der Zustimmung anschließt. Man kniet sich eine Weile mit Feuereifer rein, investiert viel. Weil man hofft, man würde dadurch fähig sein, etwas zu ändern. Irgendwann. Auch wenn klar ist, daß Erkenntnisse Zeit zum Reifen brauchen. Irgendwann kommt sie dann, die Erkenntnis. Allerdings nicht die, auf die man gewartet hat. Man beschließt, daß es manchmal besser ist, alleine weiterzugehen. Auf das wohltuende, liebgewonnen Ritual zu verzichten. Aber nur eine Weile. Bis man einen bestimmten Punkt erreicht hat. Dann möchte man so schnell wie möglich das Ritual wieder aufnehmen. Damit es noch kein Abschied für immer ist. Damit man, ausgehend vom bestimmten Punkt, noch ein paar Schritte weitergehen kann. Begleitet. Damit man nicht alles alleine machen muß.

Dem Punkt, an dem man sich selbst erlauben kann weiterzumachen, wird entgegengefiebert. Am Anfang. Irgendwann ist der Gedanke nicht mehr so quälend, sich des Rituals beraubt zu haben. Und dem bestimmten Punkt entgegenzueilen scheint nicht mehr so eilig. Natürlich, man wird es schon schaffen. Im Dezember. Oder im Jänner. Aber erst im Alltag bleiben. Erst Prioritäten umordnen. Man denkt nicht mehr so oft an das Ritual. Oder das gesteckte Ziel.

Bis man eines Tages nichtsahnend den Anrufbeantworter einschaltet. Und darauf die Stimme findet. Die, die mit dem Ritual verbunden ist. Die man lange nicht gehört hat. Die man gerne wieder hören würde. Die vieles ahnt, aber das nicht auszusprechen braucht. Die so herzlich klingt in diesen 23 Sekunden am AB. Und ehrlich. Die weiß, daß sie nichts übel nehmen muß.

Man hört sie sich einige Male an und erinnert sich. An lange, häufige Zugfahrten, ein muffiges Treppenhaus, an Angst, an Gelächter, an Klarheit, an Verzweiflung. An Stunden und Tage ohne Alltag. Nach diesen einigen Malen erinnern überlegt man, sie zu löschen, die Stimme und ihre Worte. Vom AB, nicht aus dem Leben.

Aber man tut es nicht. Man hört die Stimme noch viele, viele Male. Immer wieder. Nach dem Aufstehen. Vor dem Schlafengehen. Wie ein neuentdecktes Lieblingslied. Wie eine Besessene.

Lieder verlieren ihren Reiz, wenn man sie zu oft hört. Die Stimme nicht. Sie läßt neue Nuancen erkennen, wird immer eindringlicher. Sie läßt die Zweifel wachsen. Ob man es jemals schaffen wird zurückzurufen. Ob man jemals sagen wird "Hey, da bin ich wieder. Auf ein Neues." Man zweifelt, ob man es schafft, den dafür nötigen Ausgangspunkt zu erreichen. Aber man zweifelt auch, ob man es noch für nötig hält. Sind doch gut gelaufen, die letzten Monate, oder? Oder vielleicht nicht?

Die Stimme läßt aber auch die Sehnsucht wachsen. Weil sie sich erinnert, weil sie einen nicht abgeschrieben hat. Ein guter Anlaß, wieder zu hoffen. Oder nicht?

Ich bin viel zu sehr in den Kopf gerutscht, in den letzten Monaten. Muß wieder in den Bauch zurückkommen. Nur ein bißchen. Nur fürs Gleichgewicht. Dann werde ich nicht lange überlegen müssen.

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Sonntag, 4. Januar 2004
Yo Yo-Effekt
Yo Yo ist ein Synonym für Begeisterung. In meiner Welt zumindest. Und da eines unter vielen. Wer den "Planet Hop" oder ein paar Bildertricks damit hinkriegt, hat gute Chancen zu gewinnen. Mein Herz zumindest.

Das ist wie mit Märchen. Jemand, der aus dem Stehgreif und voller Inbrunst Märchen erzählen kann, kann Seelen berühren. Jedenfalls die, die sich davon berühren lassen wollen.

Mein Yo Yo ist mit mir erwachsen geworden. Mehr als eine schöne Kindheitserinnerung ist es ein Begleiter. Es hilft mir, etwas zu erfahren. Von fremden Menschen, aber auch von fremden Ländern.

Vor allem auf Reisen ist es wichtig für mich geworden. Ohne viele Kenntnisse über Sprache und Gepflogenheiten durch ein fernes Land zu ziehen war immer einfacher, wenn mein Yo Yo dabei war. An fremden Orten das Yo Yo wirbeln zu lassen hilft Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu schließen. Fast immer hat es zu guten Begegnungen geführt. Die, die ich gesucht habe. Mit phantasievollen Menschen mit großem Herzen. Bestimmt hätte ich sie auch anders gefunden, aber es wäre schwieriger gewesen.

Der Weihnachtsgeist weiß das.

Und vor einigen Minuten habe ich sie miteinander erwischt, die beiden. Im Wohnzimmer steht der Weihnachtsgeist und freundet sich mit dem Yo Yo an. "Mehr als der Sleeper geht noch nicht", hat der Geist gesagt und mich verlegen angelächelt.

So adoreable. Truly, deeply.

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Mittwoch, 31. Dezember 2003
Geschenk des Jahres
Dieser Satz: "Ich bin froh, daß Du nicht ganz aus meinem Leben gefallen bist."

Ich auch, C. Ich auch. Wo ich doch fast sogar aus meinem rausgefallen wäre. War knapp manchmal.

Rausgefallen bin ich nirgendwo, nur aus manchen Beziehungen rausgesprungen. No regrets. Was wichtig ist, hält. Auch wenn es nicht selbstverständlich ist. Appreciation guaranteed. Auch wenn ich das (zu) selten verbalisiere.

Auf ein Neues C., L., K., E. und wie Ihr alle heißt. Mögen wir auch 2004 den Realitychecks standhalten. Und dem Rhaki.

Jahresabschiede machen mich rührselig. Damn.

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