Freitag, 21. Mai 2004
Erbsünde
"In alter Zeit gab es nicht nur ein mannmännliches und ein weiblichweibliches Geschlecht, sondern auch ein mannweibliches. Alle Menschen bestanden aus jeweils zwei Teilen. Und alle lebten unbekümmert und zufrieden. Dann freilich nahmen die Götter ein Messer und schnitten sie in zwei Hälften. Säuberlich wie Früchte. Seitdem gibt es Frauen und Männer auf der Welt, und die Menschen irren ständig auf der Suche nach ihrer anderen Hälfte durchs Leben."

"Warum haben die Götter das getan?"

"Die Menschen in zwei Hälften geteilt? Weiß ich auch nicht. Was die Götter tun, ist meistens unverständlich. Sie sind launisch und haben - wie soll man sagen - eine Neigung zum Idealismus. Vielleicht sollte es eine Strafe sein, so wie bei Adam und Eva in der Bibel, als sie aus dem Paradies verjagt wurden."

"Wegen der Erbsünde", sagte ich.

"Genau. Die Erbsünde", sagt Oshima.


(aus "Kafka am Strand", Haruki Murakami)

Manchmal wache ich morgens auf und will Kaffee. Oft wache ich morgens auch nur auf und will weiterschlafen. Heute wachte ich morgens auf und wollte etwas Mädchenhaftes tun. Ich wollte viele schicke Anziehsachen kaufen gehen. Und das tat ich.

Viele schicke Anziehsachen wurden es allerdings nicht. Es wurde ein schicker Hosenanzug. Kam aber rein wirtschaftlich gesehen trotzdem hin, da ich für seinen Preis in anderen Läden tatsächlich viele schicke Anziehsachen bekommen hätte.

Natürlich verlangte dieser schicke Hosenanzug nach neuen chicen Schuhen (nicht schick,sondern chic, das stand am Preisschild). Erstaunlicherweise fand ich sogar welche an diesem erstaunlich problemlosen Mädchentag. Zwar nicht die, die ich haben wollte, aber da bin ich flexibel. Hätte ich nämlich die anprobiert, die ich haben wollte, hätte die ehemalige Bekannte, die auf einmal just vor dem Regal mit den chicsten aller Schuhen auftauchte, mich entdeckt. Und dann wäre die ehemalige Bekannte keine ehemalige Bekannte mehr, woran mir aber sehr gelegen war. Also schnappte ich die zweitchicsten Schuhe und verließ fluchtartig das Geschäft (bevor es Wirbel gibt: natürlich wurden die Schuhe vorher noch bezahlt). Auf diese Weise ging der Einkauf nicht nur erstaunlich problemlos, sondern auch erstaunlich schnell über die Bühne.

An meinen seltenen Mädchentagen tue ich Dinge, die ich an nicht so mädchenhaften Tagen nicht tue. Deshalb kam in die Einkaufstüte mit dem allerschicksten Hosenanzug und den zweitchicsten Schuhen noch eine Wimperntusche. Die, die ich mir gekauft habe, als ich tatsächlich und nicht nur innendrin fünfzehn war, tut es leider nicht mehr. Sollte die innwendige, pubertäre Fünfzehnjährige also morgen abend tatsächlich die Verabredung haben, kann schon fast nichts mehr schief gehen. Um das "fast" in ein "auf gar keinen Fall" zu verwandeln, überwand ich mich an diesem Mädchentag sogar, meinen Erzfeind, das Dessousgeschäft aufzusuchen. Genaugenommen gilt die Feindschaft nicht DEM Dessousgeschäft, sondern allen Dessousgeschäften. Noch genaugenommener dem Verkaufspersonal in diesen Dessousgeschäften. Dessousverkäufer halte ich für angsteinflössende Aliens, die ein seltsames Leben am Rande der Gesellschaft führen müssen. Üblicherweise finde ich es besser, nicht in furchteinflössende Subkulturen einzudringen, aber heute war ja Mädchentag. Und an Mädchentagen tue ich solche Dinge. Und siehe da (großartiger, problemloser Tag), auch hier wurde ich unter weitgehendester Nichtbeachtung des Verkaufspersonals fündig. Sollte die Verabredung tatsächlich zustande kommen und sollte sie sogar besser als gut laufen, bin ich nun quasi untendrunter und obendrüber auf alle Eventualitäten vorbereitet. Ein beruhigendes Gefühl für ein Mädchen.

Die bisherigen Erfahrungen des heutigen Mädchentages waren so ermutigend, daß ich sogar genug Mumm besaß, mich kaum zuhause angekommen in mein schickes und chices neues Outfit zu werfen und es Gassi zu führen. Des Schicksals seltsame Wege (oder auch mein Wille, je nach philosophischer Herangehensweise) führten uns in den neuen Frisiersalon in meiner Nähe. Der wiederrum ist zwar nicht schick, aber hipp. Bahnhofshallenflair mit rotmarorierten Wänden und großen, hellen Neonröhren an der hohen Decke. Dazu hippe Musik aus unzähligen Lautsprechern. Ich mag es sonst ja eher cosy, aber heute war ich nicht zu bremsen. Also stürmte ich todesmutig die heiligen Hallen, um mich der Gesichtskontrolle durch die hippen Friseusen zu unterziehen. Hippe Friseusen sind übrigens noch furchteinflössender als Dessousfachverkaufspersonen. Aber das weiß ohnehin jeder.

Die hippen Bahnhofshallenfriseusen stellten keine Ausnahmen dar. Mein Anliegen nach einem sofortigenTermin wurde mild belächelt. Nur hatten die nicht damit gerechnet, daß heute mein unbremsbarer Mädchentag war. Innerlich chicken shit schmiß ich mich dennoch äußerlich cool und frech an die Cheffriseuse und zur Sicherheit noch an eine gerade in faßbarer Nähe stehende Kollegin heran. Unter Auferbietung meines gesamten weiblichen Charmes erzählte ich ihnen die Geschichte vom Mädchentag und dem schicken Hosenanzug, der sich morgen bestimmt weigert, mit mir und meiner poppeligen alten Frisur auszugehen. Was unter Umständen meine Zukunft sehr unvorteilhaft verändert. An dieser Stelle war ich schon beinahe bereit, mir ein paar Mädchentränen in die Augen zu drücken. Zum Glück war das nicht nötig, denn die Kollegin der Cheffriseuse hatte ein Einsehen. Entweder war ihr klar geworden, daß ich durchaus bereit war, noch bis zu Geschäftsschluß da zu stehen und sie mit unerquicklichen Geschichten von der Arbeit abzuhalten oder sie war meinen Flirtversuchen erlegen. Ich plädiere auf letzteres. Da ich dabei war, muß ich es ja wissen.

Sie bugsierte mich mit der wortreichen Versicherung, gleich für mich da zu sein, auf das hippe, rote Sofa in der Mitte der Bahnhofshalle. Vermutlich um mich zum Schweigen zu bringen, drückte sie mir ein hippes (weil eiskaltes) Glas Mineralwasser in die Hand und bewaffnete mich zusätzlich mit einer von diesen Zeitschriften, in der viele hippe Frisuren abgebildet sind, die diese hippen Leute so fabrizieren können.

Da mir aber nicht der Sinn nach Frisurenbildern oder eiskaltem Mineralwasser stand, verbrachte ich die Wartezeit damit, meine wohltätige Friseuse zu beobachten, wie sie am Kopf eines fremden Menschen herumbastelte. Das Sofa stand dafür günstig, so daß ich sie jedes Mal, wenn sie in den Spiegel sah, mit einem freundlichen Lächeln bedenken konnte. Ich bin fest davon überzeugt, daß dies meine Wartezeit erheblich verkürzte. Sie fertigte den Kopf des fremden Menschen sehr gekonnt, aber schnell ab, um möglichst schnell bei mir, ihrer neuen Mädchentag-Lieblingskundin sein zu können.

Als ich dann endlich auf dem Stuhl unmittelbar vor ihr Platz nehmen konnte, hatte ich sie schon so ins Herz geschlossen, daß ich ihr mit den Worten "Mach, was Dir einfällt. Wird schon passen" einen Freibrief gab. Von da an behandelte Frau Frisurenprofi mich so, wie jeder eine arme Irre behandelt. Sehr, sehr freundlich und vorsichtig. Wir tauschen noch ein paar Fachfrauenmeinungen zu meiner möglichen neuen Naturhaarfarbe und dem dazu passenden Schnitt aus und gingen dann zu freundlichem und vorsichtigem Smalltalk über. Leider verstummte dieser, nachdem ich ihr gegenüber mein Mitleid mit dem großen Kaktus geäußert hatte, der inmitten der Bahnhofshalle (neben dem roten Sofa) sein Leben in Neonlicht und Friseurchemiegestank fristen muß. Aber wer nicht quatscht, kann effizienter arbeiten. Immerhin. Das tat sie. Nun habe ich einen neuen Haarschnitt in meiner neuen Naturhaarfarbe und bin sehr zufrieden mit der Welt. Die Friseuse bestimmt auch, denn ich verabschiedete mich mit der Drohung: "Ich komme wieder".

Im Hinblick darauf, daß der Mädchentag bald endet und der neue Tag morgen noch lange nicht freundlich zu mir sein muß, entschied ich mich, noch ein bißchen U-Bahn zu fahren. Aus zwei Gründen. Zum ersten ist U-Bahnfahren die beste Möglichkeit, die Flirttechnik des rundumerneuerten Ichs zu perfektionieren. Wenn es zu gut klappt, kann man an der nächstbesten Station dem ehemaligen Flirtziel wunderbar entkommen. Wenn es nicht klappt, schiebt man es auf das Karma des Zuges und sucht sich einen anderen.

Zum zweiten wollte ich mich sicherheitshalber mit einem großen Vorrat dieser wunderbaren Schokolade eindecken. Könnte ja sein, daß der Tag morgen tatsächlich unnett ist und meine Verabredung platzen läßt. Dann kann so ein Schokoladeberg vor dem Fernseher schon ungemein hilfreich sein.

Nun, da dies alles endlich erledigt ist, können mein rundumerneuertes mädchenhaftes und mein altes zauselweibiges Ich in bestem Einklang diesen Mädchentag getrost ad acta legen. Mädchen sein kann nämlich ganz schön anstrengend sein. Und das alles wegen der Erbsünde.

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Liest sich, als wären die äußeren Voraussetzungen für einen gelungenen Tag vorhanden. Und wenn Sie in so schelmischer Laune bleiben, kann doch auch ansonsten nichts schief gehen :o)

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Der öffentliche Nahverkehr in Wien ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben. Allerdings befand ich mich schon in freundlichster Begleitung, so daß Flirt-Versuche ausbleiben mußten.

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@monolog: stimmt, war nett ;-).

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Sehr gut. Weitermachen :o)

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Schön. Einfach nur schön.

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