Freitag, 9. April 2004
Flashback
Verabredungen zum Kaffee können Lebenslügen aufdecken. Oder vielleicht auch eher Lebensmuster als Lebenslügen. Natürlich kommt man ihnen auf alle möglichen Wegen auf die Schliche, wenn man will. Aber manchmal reicht eine harmlose Verabredungen zum Kaffeeklatsch an harmlosen, sonnenwarmen Tagen zwischen harmlosen sonnengemütigen Menschen. Nach Abhandeln der Wiedersehensfreude und der warmen, sonnigen Themen liegen sie auf einmal auf dem Tisch. Oder schwimmen im Kaffeemilchschaum. Oder verstecken sich als Sahnehäubchen auf dem Kuchen. Was weiß ich. Auf jeden Fall sind sie plötzlich da. Fühlen sich sicher, weil eine vertraute Atmosphäre herrscht. Weil die Menschen, die einander gegenübersitzen und einander mögen, viel lachen und harmlos über alte Zeiten plaudern. Das ist die richtige Atmosphäre, um unerwartet und daher umso heftiger zuschlagen zu können.

Und die harmlosen sonnengemütigen Menschen nehmen ein Souvenir von dieser Verabredung nach Hause. Das Messer, das ihnen zwischen den Rippen steckt, ist kein harmloses Buttermesser. Auch kein scharfzackiges Fleischermesser. Mehr so ein "ich weiß, was Du willst und Du wirst es nicht kriegen"-Messer aus Kinderzeiten. Aus den ganz frühen Kinderzeiten, als Messer noch ein Synonym fürs Erwachsensein darstellten. Wer mit Gabel UND Messer essen darf, ist groß. Auch groß genug, um die Verletzungsgefahr einschätzen zu können, die solch ein Messer darstellt. Auch wenn man sich vielleicht keine Gedanken darüber macht, daß solch ein Messer zwischen den Rippen steckenbleiben kann und mehr zu sagen hat als "ich weiß, was Du willst und Du wirst es nicht kriegen". Es kann Fragen stellen, messertypisch schneidende Fragen eben.

Zum Beispiel die, warum die Geschichte sich so leicht fortsetzt. So unheimlich gedankenlos leicht. Beispielsweise die von dem Mädchen, das vom Vater vergewaltigt wird. Das Mädchen, das es schafft, dies vor sich selbst zu verheimlichen, bis es einen Mann gefunden und geheiratet hat, der wieder ihre Kinder vergewaltigt. Und über diesen Tag hinaus. Und vielleicht bis in alle Ewigkeit.

Und die Fortsetzung der Geschichte, in der ihre Kinder das selbe versuchen. Mit ähnlichen Teilerfolgen. Wenn 13 Monate in der Psychiatrie als Teilerfolg gelten. Oder die Augen der erwachsenen Tochter. Die in dem Moment zum wahrscheinlich x-ten Male wieder einmal absterben, als die an einem harmlosen Tag bei einer harmlosen Verabredung zu einem harmlosen Kaffeklatsch an einem harmlosen sonnigen Tag einer Freundin davon erzählt. Weil sie drübersteht, wie sie sagt. Jetzt, endlich. Mit 25 Jahren. Und daß der Bruder mit seiner heftigen Psychose noch nicht gelernt hat, da drüberzustehen, ist endlich nicht mehr ihr Bier. Sagt sie. Und überhaupt geht es doch vielen Mädchen so. Viel mehr, als man ahnt. Sagt sie. Und zum ersten Mal gibt die Freundin ihr in Gedanken recht. So klischeehaft, die Geschichte und ihre Fortsetzung, und doch so wahr. Häufiger, als man ahnt. Auch wenn nicht immer der Körper vergewaltigt wird. Das ist klar. Diesen Aspekt lernt heutzutage schon jedes Kind in der Schule. Aus verständlichen Gründen.

Dinge, die man in der Schule lernt, vergißt man bloß gelegentlich recht schnell wieder. Weil man sie nicht braucht. Zum Beispiel hat mich außerhalb der Schule nie jemand gefragt, wann die "Challenger" zu ihrer Fahrt über die Weltmeere aufgebrochen ist. Zum Glück, denn ich weiß es auch nicht mehr. Aber ich weiß viele Dinge aus meiner Kindheit nicht mehr. Unter anderem, wann mir zum ersten Mal ein Messer an die Rippen gesetzt wurde.

Ich weiß, was Du willst und Du wirst es nicht kriegen.

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Unter anderem, wann mir zum ersten Mal ein Messer an die Rippen gesetzt wurde.

Ich denke, das wissen Sie noch sehr gut. Wie es in der Werbung heißt: Dein erstes Messer vergisst Du nie.

Und noch etwas fällt mir auf: Sie haben so recht. Ich nämlich denke bei "Challenger" natürlich immer nur an Explosion und nicht an Weltmeere. Weil ich ein elender Pathetiker bin.

Ja, diese Geschichten sind häufiger als man ahnt. Aber niemals "normal". Und die Wiederholungen auch. Und das Bedürfnis, irgendwann einmal selbst das Messer führen zu dürfen. Und sei es nur gegen sich selbst.

Ich habe im letzten halben Jahr aber auch gelernt, daß man auch zulassen können muß. Daß man tatsächlich nicht für alles verantwortlich ist. Daß man als Helfer und Beteiligter auch Komplize werden kann, wenn andere ihr Messer führen wollen.

Ich habe exakt diese Worte gehört, als es begann: "Ich hab' das im Griff." Ich sagte, "Nichts hast du im Griff. Das jedenfalls nicht." Lebenslüge Nummer eins. Nummer zwei aber war, daß ich dachte, ich könne helfen.

Ich will ja nur kontrollieren.

Dennoch: Ein frohes Osterfest. Wien rocks!

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Aber auch anders.
Und dann wieder kann es doch gelingen, diese Fortsetzungsdramen zu durchbrechen, den Kreis sich eben nicht mehr schließen zu lassen. Zumindest sieht alles danach auch. ;o)

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Ich habe mir das vorgenommen. Dieses Jahr soll ein schönes Jahr werden. Mit Reisen und schreiben.

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@sebas: Stimmt, wenn das Bewußtsein mitspielt, kann das durchaus klappen.

@kid37: Wieso denn werden? Wir sind doch schon mittendrin im Jahr ;-). Und mit einem Wienbesuch sind die Chancen ja gut, daß der Vorsatz sich einhalten läßt (vor allem, wo Sie doch schon eine von schätzungsweise drei Wienerinnen aufgerissen haben, die einen Swimmingpool besitzt, wenn ich richtig gelesen habe ;-)). Dann mal schönen Aufenthalt, scheint ja demnächst so weit zu sein.

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"Don't go for second best..." (Madonna, "Express Yourself"). Natürlich interesse ich mich für Frauen mit Geschmack. Und da kann ich bei Wienerinnen ja nicht so falsch liegen, nicht wahr? (flöööt ;-))

Frau Sonne hat nicht nur Zugriff auf einen Pool, sondern besitzt vor allem auch eine Couch. Anfang Mai lege ich mich darauf, lasse mich austherapieren und kehre dann völlig exorziert in die schnöde Hanseatenwelt zurück.

Aber "aufgerissen", das klingt so, als wären Wienerinnen leicht zu haben. Sie wissen doch am besten, daß dem nicht so ist! Im Gegenteil, ich fühle mich sehr geehrt und kann mich auch ansonsten über 2004 nicht ernsthaft beklagen.
Alles wird gut.

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Herr Kid, "aufgerissen" war nur schlampige Wiener Ausdrucksweise, keineswegs Ihnen oder gar Frau Sonne gegenüber herabwürdigend gemeint. Ich ersetze es hiermit reumütig durch "erobert" und beglückwünsche Sie zu dieser Bekanntschaft. Aber daß Sie deswegen gleich Nina Ruge zitieren müssen, bringt mich dann doch etwas aus der Fassung.

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Dass Ihnen deshalb aber gleich das "y" aus der Krone gefallen ist, entfasst mich aber noch mehr.

Mich wegen der Ruge zu rügen, ist natürlich berechtigt. ich schäme mir auch und lasse mir jetzt zur Strafe die Lippen aufspritzen.

Machen Sie's wie ich: Haben Sie die Sonne im Herzen. ;-)

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